Wie der Gipfel von Hanoi zu beurteilen ist
(Project-syndicate 2019/2/27)

LOS ANGELES – US-Präsident Donald Trump und der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un treffen sich derzeit zu ihrem zweiten Gipfel in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Bei der Beurteilung der Ergebnisse sollten sich sowohl Optimisten als auch Pessimisten auf drei Kriterien konzentrieren: nämlich auf den unumkehrbaren Fortschritt in Richtung einer formellen Friedenslösung, Denuklearisierung, und die potenzielle Transformation des nordkoreanischen Regimes.
Wenn aus der erfolglosen Diplomatie der letzten 25 Jahre überhaupt eine Lehre zu ziehen ist, besteht sie rückblickend darin, dass eine Denuklearisierung ohne die vorherige Beendigung der Feindseligkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea nicht stattfinden wird. Es hat sich gezeigt, dass eine Politik des Drucks und der Abschreckung ohne politisches Engagement Misstrauen und den wiederholten Rückzug Nordkoreas aus Abkommen auslöste.
Glücklicherweise haben sowohl Trump als auch Kim Bereitschaft signalisiert, sich in Richtung einer friedvolleren Beziehung zwischen den USA und Nordkorea bewegen zu wollen. Überdies gab es vor dem Gipfel in Hanoi Berichte, in denen angedeutet wurde, Trump könnte Kim eine formelle Erklärung über das Ende des Koreakriegs anbieten. Doch eine völlige Normalisierung würde ihre Zeit dauern. Nach der Geheimreise des damaligen nationalen Sicherheitsberaters Henry Kissinger nach Peking im Jahr 1971 brauchte es weitere acht Jahre diplomatischer Bestrebungen, bis die USA ihre feindseligen Beziehungen zu China normalisierten und Präsident Jimmy Carter der Volksrepublik China 1979 volle diplomatische Anerkennung gewährte.
Die Diplomatie mit dem Kim-Regime erfordert ein ähnliches Ma©¬ an Geduld. Zumindest würde eine gemeinsame Stellungnahme, im Rahmen derer man das Ende des Koreakriegs erklärt, den USA und Nordkorea die Einrichtung von Verbindungsbüros in Pjöngjang beziehungsweise Washington, DC ermöglichen. Das ist keine Kleinigkeit.
Freilich ist viel über mögliche Kosten und Nutzen einer Friedenserklärung die Rede, wobei man sich mancherorts besorgt zeigt, dass ein derartiger Schritt das Bündnis zwischen USA und Südkorea schwächen könnte. Solange jedoch Südkorea und die USA über eine gemeinsame Zukunftsperspektive hinsichtlich ihrer Allianz verfügen, können sie Ma©¬nahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass eine Friedenserklärung keinen Unsicherheitsfaktor bildet, sondern zu einem Stabilitätsanker wird. Nachdem das Bündnis zwischen den USA und Südkorea seit beinahe sieben Jahrzehnten besteht, ist es belastbar genug, um sich an das neue internationale Umfeld anpassen zu können, das durch ein denuklearisiertes und friedliches Nordkorea entstünde.
Im Hinblick auf die Denuklearisierung wird vielfach erwartet, dass Kim in Kürze internationale Inspektoren einlädt, um die unwiderrufliche Demontage der Atomtestanlage Punggye-ri sowie des Raketentestgeländes Tongchang-ri zu bestätigen. Auch das wäre ein bedeutender Fortschritt. Ein noch wichtigeres Erfolgskriterium wäre jedoch die Stilllegung des Kernforschungszentrums Yongbyo, das von einigen Experten als baufällig und wertlos beschrieben wurde. Allerdings erzählte ein führender Atomwissenschaftler, der Yongbyon viermal besucht hatte, der Washington Post kürzlich, dass er diese Anlage für das „Herz ihres Atomprogramms¡° und eine „immens wichtige Sache¡° hält.
Die Stilllegung von Yongbyon unter der Aufsicht internationaler Inspektoren wäre ein bedeutender Präzedenzfall für die Zukunft anderer verborgener Anlagen. Und Kims Zustimmung, die Produktion spaltbaren Materials einzufrieren sowie einen Fahrplan für künftige Verhandlungen zu erstellen, würde sogar Pessimisten einräumen lassen, dass der Gipfel ein Erfolg war und dass ein pragmatischerer Ansatz der USA – Ma©¬nahmen im Gegenzug für Ma©¬nahmen – zumindest zu einigen Fortschritten in Richtung Denuklearisierung geführt hat.
Die letzte Frage lautet schlie©¬lich, ob sich das nordkoreanische Regime selbst verändert. Die Erfüllung der ersten beiden Kriterien sollte für Kim die Voraussetzungen schaffen, sich schrittweise in Richtung eines Modells autoritär geführter Entwicklung zu bewegen wie sie in Vietnam oder China über die Bühne ging. Ob er einen derartigen Übergang aktiv in Erwägung zieht, kann nicht gesagt werden. Erwähnenswert ist jedoch, dass Kim zwar keine Privatisierung der Produktionsmittel vornahm, es jedoch den Märkten ermöglicht hat, in der nordkoreanischen Wirtschaft eine viel grö©¬ere Rolle zu spielen, als dies unter seinem Vater und seinem Gro©¬vater Kim Il-sung jemals der Fall war.
So hat beispielsweise der Aufstieg der Donju, einer auch als „Herren des Geldes¡° bezeichneten Schicht aus Neureichen die Dynamik der politischen Ökonomie Nordkoreas verändert und die Beziehung zwischen dem Regime und dem Volk neu gestaltet. Kim Jong-il versuchte diese neue Bevölkerungsschicht mit einer gescheiterten Währungsreform im November 2009 zu unterdrücken. Sein Sohn scheint sie jedoch akzeptiert zu haben, entweder aus freien Stücken oder weil die interne politische Dynamik sowie zunehmend strikte internationale Sanktionen ihn dazu zwangen.
Mit Blick auf die Zukunft wird viel davon abhängen, ob die USA und andere reiche Länder sich darauf einigen, Kim auf seinem Weg zu einem Entwicklungsführer im Stile Deng Xiaopings, dem Architekten der gro©¬en chinesischen „Öffnung¡° nach 1978, zu unterstützen. Wenn das tatsächlich der Kurs ist, der Kim vorschwebt, besteht für die internationale Gemeinschaft kein Grund, sich ihm in den Weg zu stellen. Ganz im Gegenteil: wir sollten konkrete Anreize entwickeln, um ihm bei der Umsetzung seiner Pläne zu helfen.
Zu diesem Zweck ist zu hoffen, dass Trump den ersten Schritt tut und, im Gegenzug für echte Bestrebungen des Kim-Regimes in Richtung Denuklearisierung, eine schrittweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen anbietet. Au©¬erdem sollten bei einer Lockerung der Sanktionen Ausnahmen für interkoreanische Entwicklungsprojekte an oberster Stelle der Liste stehen.
Darüber hinaus werden multilaterale Finanzinstitutionen nordkoreanische Bürokraten und Studierende in die Funktionsweise des internationalen Finanzwesens und der Marktwirtschaft einweihen müssen. Das ist durchaus vordringlich, denn ohne das erforderliche Wissen wird die wirtschaftliche Transformation Nordkoreas niemals in Gang kommen. Umso besser, wenn der Gipfel in Hanoi zu einer Vereinbarung über einen erleichterten Informations- und Wissensaustausch führt.
Aber unabhängig vom Ergebnis des Gipfels ist es an der Zeit, einen breiteren und umfassenderen Rahmen für die Bewertung der Resultate der Diplomatie zwischen den USA und Nordkorea zu etablieren. Beurteilt man die Geschehnisse in Hanoi anhand der Kriterien der Vergangenheit, wird ein Erfolg womöglich irrtümlich für einen Fehlschlag gehalten.
*source from: https://www.project-syndicate.org/commentary/hanoi-summit-trump-kim-by-yoon-young-kwan-2019-02/german |